Interview mit Peter V. Kunz und Olivier Pagan
Text: Daniel Fleischmann für éducation21
Interview mit Professor Dr. Peter V. Kunz, Experte für Tierrecht, und Dr. med. vet. Olivier Pagan, Direktor des Zoos Basel
Tiere sind kein Spielzeug
Das ist doch paradox: Wir finden Katzen herzig, aber Schweine essen wir. Der Umgang der Menschen mit Tieren ist voller Widersprüche. Peter V. Kunz (Professor für Tierrecht) und Olivier Pagan (Zoodirektor) kennen sie. Sie empfehlen, Kindern authentische Tiererlebnisse zu ermöglichen. Zoos seien dafür ein guter Ort, sagen beide. Das Wichtigste, was Kinder im Umgang mit Tieren lernen: Respekt und Verantwortung.
Herr Kunz, Herr Pagan, hatten Sie als Kind ein Tier?
Olivier Pagan: Ich wuchs mit einem Familienhund auf, und die Klassiker wie Meerschweinchen waren auch dabei. Aber ich habe mich schnell auch für wild lebende Tiere interessiert, für Reptilien, Vögel.
Hielten Sie die Tiere artgerecht?
Olivier Pagan: Darauf achteten meine Eltern: keine Schosstiere, keine einzeln lebenden sozialen Tiere, genügend Auslauf und Spaziergänge mit unseren Hunden.
Peter V. Kunz: Ich war durch meine Mutter oft auf dem Bauernhof; da gab es Schweine, Kühe und den Hofhund Nettie. Eine zentrale Erinnerung ist auch der Basler Zoo, den ich viele Jahre lang regelmässig besuchte. Und Katzen hatten wir auch.
Was lernen Kinder im Umgang mit Tieren?
Peter V. Kunz: Das weiss ich nicht, ich habe keine eigenen Kinder. Aber ich kann sagen, was sie lernen sollten: Tiere sind weder ein Spielzeug noch ein Gegenstand. Kinder sollten, wenn sie Tiere haben, lernen, Verantwortung für sie zu tragen; das ist eine Fähigkeit, die man später auch für andere Dinge braucht. Leider habe ich den Eindruck, dass viele Eltern Tiere wie ein Spielzeug verschenken – und erst später richtig merken, dass sie Arbeit machen. Ich bin für jede Initiative dankbar, die das in Erinnerung ruft. Die Zoos gehören dazu.
Olivier Pagan: Ganz einverstanden. Kinder müssen Ehrfurcht und Respekt vor dem Leben lernen und sollen Verantwortung für ein anderes Geschöpf übernehmen. Der Basler Kinderzoo wurde 1977 genau mit dieser Zielsetzung gegründet. Er sollte kein Streichelzoo sein, sondern ein Ort im urbanen Umfeld, wo Kindern beigebracht wird, wie man mit Tieren umgeht. Im Kinderzoo werden sie von Tierpflegerinnen und -pflegern angeleitet, sich Tieren richtig zu nähern, sie zu beobachten, Hufe auszukratzen, bei der Fütterung zu helfen.
Können auch Schulklassen dorthin kommen?
Olivier Pagan: Schulklassen der 4. und 5. Primarstufe können im Kinderzoo an Projektwochen teilnehmen. Die Kinder können aber auch allein kommen; unsere Tierpflegerinnen und -pfleger sind dafür pädagogisch ausgebildet.
Peter V. Kunz: Ich finde es wichtig, dass die Zoos den Kontakt zu den Schulen suchen. Aber die Zoos in der Schweiz decken immer nur einen begrenzten geografischen Raum ab. Ich weise darum auf ein Angebot des Schweizer Tierschutzes (STS) hin, in dessen Vorstand ich bin. Im Rahmen des Programms «Krax» gestalten pädagogisch ausgebildete Fachleute zwei oder drei Lektionen zum Thema Tiere und Tierschutz. Anders als im Zoo erleben Kinder dabei vor allem heimische Tiere. Möglich sind auch ganze Projektwochen. Sie beinhalten meist eine praktische Arbeit wie den Bau eines Igelhäuschens.
Wie alt sollten Kinder sein, damit sie die Verantwortung übernehmen können, von der Sie sprachen?
Olivier Pagan: Im Kinderzoo gehen wir von acht Jahren aus.
Peter V. Kunz: Eltern können diese Verantwortung unterstreichen, indem sie mit den Kindern einen schriftlichen Vertrag abschliessen, der ihre Aufgaben bei der Pflege des Tieres beschreibt.
Welche Rolle können Klassenhunde spielen?
Olivier Pagan: Ein Hund in der Klasse, ein Lehrerhund, das kann funktionieren. Dennoch wäre ich vorsichtig. Denn wer sorgt sich wirklich um das Tier?
Peter V. Kunz: Ich lehne die Idee ab. Wir sollten die Schule zu den Tieren bringen, nicht die Tiere in die Schule. Der Lerngewinn der Schüler ist meistens weniger gross, als es die Stressfaktoren für die Tiere sind.
Welche Funktion haben Tiere für den Menschen?
Peter V. Kunz: Erstens die Emotion. Weil sie herzig sind, werden Meerschweinchen gekauft, weil sie faszinieren, Schlangen, und bei Batteriehühnern ist es Mitleid, das uns bewegt. Aus Mitleid werden auch Zoos kritisiert, zu Unrecht, wie ich finde. Eine zweite Funktion von Tieren ist wirtschaftlicher Natur. Dazu gehören die Fleischwirtschaft, Zoos, Veterinäre, die Futtermittelindustrie. Tiere sind Produktionsfaktoren, wir nutzen ihr Leder, essen ihr Fleisch – von der Bestäubungsleistung der Bienen gar nicht zu reden.
Olivier Pagan: Weltweit sind 96 Prozent der Säugetiere Menschen und Nutztiere, nur vier Prozent leben wild. Zu diesen zähle ich die Tiere im Zoo: Sie müssen keine Leistung erbringen wie die Kuh, die täglich zweimal gemolken wird. Das verwechseln manche Tierschützerinnen und Tierschützer: Sie kritisieren Zoos, aber eigentlich meinen sie die industrielle Tierhaltung.
Wie erklären Sie es, dass wir Menschen das Katzenbaby herzig finden, das Kalb aber essen?
Peter V. Kunz: Das Leben ist voller Widersprüche. Ich bin weder Veganer noch Vegetarier, aber ich esse möglichst wenig Fleisch und erkundige mich nach dessen Herkunft. Die wichtige Frage ist, wie gut das Tier gehalten wird; dass es zum Metzger kommt, stört mich nicht. Wenn man Tiere nicht mehr nutzen würde, würden die meisten von ihnen gar nicht geboren. Dahinter steckt eine philosophische Frage. Was ist besser: Dass ein Tier auf die Welt kommt, möglichst tiergerecht lebt und dann geschlachtet wird oder dass es, weil alle Menschen vegan leben, gar nie existiert?
Olivier Pagan: Wir haben ein ähnliches Dilemma. Wissenschaftlich geführte Zoos haben die wichtige Aufgabe, gefährdete Wildtiere zu erhalten. Um eine genetisch möglichst gesunde Population zu sichern, züchten wir Tiere und tauschen die besten untereinander aus. Das führt zur Auslese der sogenannten Surplus- Tiere: Wie in der Wildbahn sterben schwache Tiere vorzeitig oder werden getötet. Viele Kritikerinnen und Kritiker verstehen das nicht. Und sie haben auch Mühe damit, dass wir die überschüssigen Tiere im Zoo verfüttern – bewusst nicht hinter den Kulissen, sondern vor den Augen unserer Besucherinnen und Besucher. In der Etoscha-Anlage erklären wir, warum wir das tun. Hier geht es um den Nahrungskreislauf: fressen und gefressen werden.
Herr Kunz, Sie möchten Tieren mehr Rechte geben. Warum?
Peter V. Kunz: Ich möchte dazu beitragen, dass die im Gesetz verankerten Tierschutzbestimmungen vollzogen werden. Hier hapert es gewaltig. Viele Tiere werden nicht tiergerecht gehalten, vor allem Haustiere. Weil die Behörden ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, sollen Tieranwälte ein Klagerecht erhalten. Dann bekommen die Anzeigen von Nachbarinnen und Nachbarn eine Wirkung, die sehen, dass Hunde keinen Auslauf haben oder Hasen solitär gehalten werden. Ein solches Klagerecht gibt es bereits im Konsumentenschutz und ist bewährt. Es hätte auch im Tierbereich eine starke, präventive Funktion.
Olivier Pagan: Ich lehne diese Idee ab. Wenn wir ein Vollzugsproblem haben, dann sollten wir den Vollzug verbessern. Wer sollen denn diese Tieranwältinnen und Tieranwälte sein? Als wir einen Orang-Utan töteten, weil seine Mutter kurz nach der Geburt gestorben war, hatten wir wochenlange Diskussionen. Wir verbringen enorm viel Zeit damit, Tierschützerinnen und Tierschützern zu erklären, wie man Tiere tiergerecht und artgemäss hält.
Viele regen sich über einen toten Orang-Utan auf. Aber jahrelang blieb unbemerkt, dass die Zahl der Insekten schwand. Ärgern wir uns über die falschen Dinge?
Olivier Pagan: Das ist gut möglich. Wir haben vor einigen Jahren die Flächen zwischen den Gehegen untersucht und rund 3000 verschiedene Arten an Tieren und Pflanzen gezählt – viel mehr als im eigentlichen Zoo. Jetzt versuchen wir in einem eigenen Bereich die Menschen über diese Vielfalt zu informieren und sie dafür zu gewinnen, auch bei sich zu Hause einen Beitrag zu dieser Vielfalt zu leisten.
Peter V. Kunz : Menschen reagieren bei Tieren primär emotional: grosse Augen, ein Fell. Da fallen Ameisen, Insekten, Spinnen durch. Zudem ist das Tierschutzrecht auf Wirbeltiere beschränkt. 95 Prozent der Tiere gehen leer aus.
Olivier Pagan: Die Schweiz hat 1992 die Biodiversitätskonvention unterschrieben. Sie verpflichtet die Kantone, Massnahmen zum Artenschutz zu treffen. Manche Kantone haben das Glück, einen wissenschaftlich geführten Zoo zu haben, wie zum Beispiel Basel, Zürich oder Schwyz. Sie leisten einen erheblichen Beitrag zur Erhaltung der exotischen und der heimischen Tierwelt. Die zehn wissenschaftlich geführten Zoos in der Schweiz sensibilisieren jedes Jahr viereinhalb Millionen Besucherinnen und Besucher für die Anliegen des Artenschutzes.
Professor Dr. Peter V. Kunz (rechts) ist seit 2005 ordentlicher Professor für Wirtschaftsrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Bern. Seit einigen Jahren widmet er sich zusätzlich dem Tierrecht
Dr. med. vet. Olivier Pagan ist seit 2002 Direktor des Zoos Basel. Davor arbeitete er dort acht Jahre als Zootierarzt sowie als Kurator für Elefanten, Javaneraffen und Malaienbären