Auf schwachen Werten! Unsere Kühl- und Küchenschränke quellen über vor Lebensmitteln, die wir nicht essen und schliesslich wegwerfen: Welch ein Material- und Energieverschleiss! Wieso haben wir sie dann gekauft? Es liegt nicht am Wert der Dinge, sondern am Unwertgefühl des Käufers. Die Werbebranche weiss, dass ein glücklicher Mensch nicht viel braucht. Deshalb versucht sie, uns unzufrieden zu machen: Sie suggeriert uns, wir seien zu wenig jung, schön, sportlich, sexy, charismatisch. Kaufen tröstet uns, wenn wir eine gewisse Leere empfinden.
Früher war der Händler ein Kulturvermittler, von dem wir Wissenswertes zur Qualität eines Produkts erfuhren. Heute kennen wir den Wert von konsumierten Waren nicht mehr: Die Werber erschaffen einen sogenannten «Brand», die «künstliche Persönlichkeit» einer Marke. Was wir kaufen, ist der «Brand», ein immaterielles Gut; das Produkt selbst ist kaum noch von Belang.
Im Marketing wurde früher häufig mit der Zurschaustellung von Statussymbolen gearbeitet. Das funktioniert heute weniger. Nun beachten wir die Likes in den sozialen Medien und werden zu unbeholfenen Selbstvermarktern. Wir als Konsumenten werden selbst zum «Brand», zur Ware. Im Supermarkt stellen wir uns in diesem Kleidungsstück oder beim Essen jenes Gerichts vor: Wir
kaufen ein «potenzielles Ich». Wir geniessen es, ein Produkt aus dem Regal zu nehmen und in den Einkaufswagen zu legen, denn letztlich sind wir immer noch Jäger und Sammler. An der Kasse ist das Vergnügen schon geringer und beim Auspacken zu Hause ist die Ware nur noch etwas, das Platz wegnimmt.
Wir alle glauben, Werbung beeinflusse uns nicht. Doch zu fast allen Kaufentscheidungen werden wir verleitet. Die Werbung funktioniert also, ohne dass wir es merken. Im Internet und in den sozialen Medien werden zum Beispiel akribisch Informationen über mich gesammelt, um mir Interessantes anzubieten.
Im Quartierladen kaufe ich einfach Brot, Bohnen und zwei Äpfel. Im Supermarkt nehme ich zehnmal so viel mit, weil ich von der Markenwerbung im Fernsehen beeinflusst bin. Online kaufe ich zwanzigmal mehr, da mich Botschaften verführen, die genau auf mich zugeschnitten sind. Alles in allem gebe ich im Quartierladen viel weniger aus, weil ich nur kaufe, was ich brauche. Der einzelne Apfel kostet zwar das Doppelte, ist aber besser: Sein Preis deckt die Arbeit des Händlers und des Bauern, während ich bei Markenprodukten eine versteckte Gebühr von 20 bis 50 Prozent für das Marketing bezahle.
Wie erleben die Menschen die Werbung als Bürgerinnen und Bürger oder als Konsumenten?
In uns allen stecken eine kritische Bürgerin und ein verschwenderischer Konsument, die wir je nach Situation hervorholen. Oft sind wir kritisch: Wir kaufen heute häufig nach ökologischen, gesundheitsbezogenen oder ethischen Kriterien ein. Dieser Anteil lässt sich steigern, doch wir müssen aufpassen: Auch multinationale Unternehmen geben sich heute grün oder ethisch, um mehr zu verkaufen!
Wir alle glauben, Werbung beeinflusse uns nicht.
Doch zu fast allen Kaufentscheidungen werden wir verleitet.
Das Ausmass des Konsumdenkens hängt von verschiedenen Faktoren ab: Gebildete kaufen weniger; wer kaum Freunde hat, kauft mehr. Einen starken Einfluss kann die Gemeinschaft haben: Lebt mein Umfeld nach dem Grundsatz «Nichts gehört mir wirklich, wenn ich es nicht reparieren kann», bessere ich gerne etwas aus, statt es wegzuwerfen und etwas Neues zu kaufen. Fährt mein Umfeld Velo, lasse auch ich das Auto lieber stehen.
Welche alternativen Konsummodelle kann eine Lehrperson heranziehen, um das Thema in der Schule anzusprechen?
Wir tauschen Spielsachen und Zeitschriften, fördern solidarische Einkaufsgemeinschaften oder die gemeinsame Nutzung von Verkehrsmitteln und Geräten. Die Gemeinschaft ist stärker als das Individuum. In diesem Sinn ist auch die Schule eine Gemeinschaft mit zwei wichtigen Funktionen: den Kindern eine kritische Haltung gegenüber dem Marketing vermitteln und die wahren Werte stärken.
Schon Kinder und Jugendliche treffen Kaufentscheidungen. Welche Kompetenzen benötigen sie, um in diesem grossen «Markt» agieren zu können?
Von den vielen Möglichkeiten der Schule möchte ich drei nennen. Zunächst Strategien entwickeln, die darauf ausgerichtet sind, dass sich Kinder selbst gefallen, indem die Stereotypen von Schönheit aufgebrochen werden; daraus ergibt sich die Kompetenz: Ich bin schön, weil ich lebendig bin. Dann Strategien, um sich stark zu fühlen: Mein Velo ist besser als ein Ferrari, denn Dinge sind nur eine Prothese meines Körpers; die Kompetenz besteht im Spüren der eigenen Muskelarbeit und in der Freude daran. Schliesslich Strategien zur Förderung des Vorstellungsvermögens: In der Schule ist es ab und zu hilfreich, innezuhalten, die Augen zu schliessen, hinzuhören, andere Sinne zu schärfen. Leider kommen einfache Aktivitäten wie Augenschliessen und Visualisieren aus der Mode, obwohl sie heute notwendiger denn je sind.
Sich selbst gefallen, den eigenen Körper spüren, der Fantasie freien Lauf lassen: Auch das sind Kompetenzen! Sie waren dem Menschen seit jeher angeboren, doch heute müssen wir sie in der Schule vermitteln: Schuld daran ist das Marketing.
Wie lassen sich solche Kompetenzen in der Schule stärken? Kennen Sie ein gutes Praxisbeispiel? Welche Praktiken sind Ihnen positiv aufgefallen?
Die Schule steht in Konkurrenz zum Marketing. Das Wort Konkurrenz benutze ich nicht zufällig: Die Schule fördert die Selbstachtung, die Identität, eine kritische Haltung, das Schönheitsempfinden, Empathie, Synästhesien, Kreativität. Sie dämmt hingegen Falsches, Schein, frustrierten Narzissmus, Konkurrenz und Isolation ein und steht somit dem Konsumdenken entgegen.
Sich selbst gefallen, den eigenen Körper spüren, der Fantasie freien Lauf lassen:
Auch das sind Kompetenzen!
Als Beispiel fällt mir das bekannte «Znüni mit Brot und Olivenöl» von Maria de Biase an einer Schule in Süditalien ein. Das gute Brot und Öl aus der Region sind gesund und umweltfreundlich: Wozu also ein industriell hergestelltes Fertigznüni? Die Kinder nehmen ihre Wassertrinkflaschen und das Geschirr von zu Hause mit. Tiefkühlprodukte und Einwegplastik sind in der Kantine verboten. Aus Altöl produziert die Schule Seife. Zudem wurden Kompostanlagen gebaut und Gemüsegärten angelegt. Auch an vielen Schulen der «Transition Towns»1 sind solche Aktivitäten verbreitet; im Internet finden sich Hunderte von Beispielen.
Können die Grundsätze und Kompetenzen von BNE hilfreich sein, um das Thema Markt in der Schule anzusprechen?
Für mich ist BNE einfach Bildung: Ohne Ausrichtung auf Nachhaltigkeit gibt es keine Bildung. Diese Kompetenzen wirken wie ein Gegenmittel, ein Schutz gegen ein Wirtschaftsmodell, das auf Verschwendung basiert und dem Planeten schadet.
Wenn ich mir auf dem Portal von éducation21 die Schemas mit den BNE-Kompetenzen ansehe, freue ich mich: Damit werden die geheimen Verführer in Schach gehalten und das BIP der Familien erhält Auftrieb! Die Anstrengungen, mit denen die Eltern ihr Geld verdienen, müssen wieder wahrgenommen werden. Das verbessert die Lebensqualität und die Sparsamkeit.