Im Interview: Dr. Isabelle Bosset, wissenschaftliche Mitarbeiterin und BNE-Expertin

Isabelle Bosset

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«BNE ist ein Bildungsprojekt in ständigem Diskurs»

éducation21 hat 2022 ihr BNE-Verständnis überarbeitet und aktualisiert. Warum ist das nötig, und was hat das für Auswirkungen auf die Dienstleistungen von éducation21? Dazu mehr im Interview mit Dr. Isabelle Bosset.

Isabelle Bosset, warum hat éducation21 ein «eigenes» BNE-Verständnis?

BNE ist ein relativ neues Konzept und befindet sich entsprechend in einer diskursiven Weiterentwicklung und Festigung. éducation21 als Kompetenzzentrum für Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) will und muss sich an diesem Diskurs beteiligen und ihren Beitrag dazu leisten. Zudem gibt es in den Sprachregionen unterschiedliche Verständnisse, analog zu den unterschiedlichen Lehrplänen. Als national tätige Fachagentur der EDK ist es für die Leistungserbringung auf nationaler Ebene notwendig, ein mit allen sprachregionalen Konzepten kohärentes Verständnis zu schaffen. Das bedeutet nicht, dass éducation21 das «richtige» Verständnis vertritt, es ist wissenschaftlich basiert und soll weitere Beteiligte anregen, sich darüber Gedanken zu machen.

Weshalb braucht es gerade jetzt eine Überarbeitung?

Bei BNE geht es gleichzeitig um Wissenschaft, Politik und Pädagogik. Diese Felder entwickeln sich laufend und rasch. Wir müssen diese Entwicklungen mitdenken, damit unsere Arbeit relevant und für die Zielgruppe unterstützend bleibt. Wir stellen fest, dass in der BNE-Diskussion stets neue Elemente auftauchen und andere obsolet werden. Dem müssen wir entsprechend gerecht werden.

Wie sind Sie bei der Überarbeitung konkret vorgegangen?

In einem ersten Schritt haben wir die Bestandteile von BNE identifiziert: Bildung, Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung. Anschliessend haben wir diese Elemente und die ihnen innewohnenden Konzepte in zwei Teile gegliedert: zum einen in den Kontext, in dem BNE entstand, und zum anderen in den pädagogischen Aufbau. Die zahlreichen Verbindungen zwischen diesen Elementen wurden ebenfalls hervorgehoben. Für jeden dieser Bereiche und deren Konzepte wurde eine Literaturrecherche durchgeführt. Auf dieser Grundlage haben wir schliesslich ein Dokument verfasst, das von einer internen Expert/innengruppe validiert wurde. In einem zweiten Schritt haben wir dann ein pädagogisch konstruiertes Dokument erstellt, das nun intern als «Arbeitsdefinition von BNE» gilt.

Und was sind nun die zentralen Anpassungen im neuen BNE-Verständnis?

Die wichtigsten Änderungen sind in den Bereichen Konzepte, Methoden und ethische Werte zu finden. Wir verstehen neu Nachhaltigkeit zwar als anzustrebenden Idealzustand im Sinne einer Orientierung, aber nicht als Zustand, den man über veränderte Verhaltensweisen erreichen könnte. So sollen eine normative Pädagogik und die individuelle Überforderung vermieden werden.

Bei den Methoden wurde zum einen eine Orientierung Richtung pädagogische Hybridisierung vorgenommen. Das heisst, auch wenn einige Methoden besser mit BNE harmonieren als andere, sollte keine Methode per se ausgeschlossen werden. Dies ebenfalls, um eine Ideologie zu vermeiden. Zum anderen wurde der Whole School Approach als eine Methode für die Schulentwicklung gestärkt.

Bleiben noch die ethischen Werte.

Genau. Es gibt nicht die eine Lösung für die Probleme der Nachhaltigkeit wie Klimaerwärmung, Zusammenbruch der Artenvielfalt, soziale Ungleichheiten usw. Um sich für eine Handlung zu entscheiden, ist es wichtig, dass wir unsere Entscheidungen begründen können. Das setzt voraus, dass wir in der Lage sind, ethische Überlegungen anzustellen: Was soll man tun? Was ist richtig? Diese Kompetenz ist angesichts der Komplexität und Unsicherheiten, die unsere Welt kennzeichnen, von zentraler Bedeutung für BNE. Auch hier geht es jedoch nicht darum, zu sagen, was richtig oder falsch ist. Die Schülerinnen und Schüler sollen mithilfe spezifischer didaktischer Instrumente zu dieser Art von Reflexion befähigt werden.

Haben diese Anpassungen im BNE-Verständnis Auswirkungen auf die Dienstleistungen von éducation21?

Wie bereits erwähnt bildet das BNE-Verständnis die Grundlage unserer Tätigkeiten. Sowohl bei der Evaluation von Lernmedien und Bildungsaktivitäten wie auch bei der Zusammenstellung von Themendossiers oder der BNE-Grundlagenvermittlung bildet es die Richtschnur. Wir werden also gegebenenfalls gewisse Aspekte unserer Produkte und Dienstleistungen anpassen müssen. Zudem werden wir die Ergebnisse zu gegebener Zeit in geeigneter Form publizieren und zugänglich machen. Wenn Fragen dazu auftauchen, stehen wir gerne zur Verfügung.

Lernende der Schule Gettnau bauen ein Vogelhaus

Bildlegende: Lernende der Schule Gettnau bauen ein Vogelhaus

 

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