Interview mit Liv Kellermann
Text: Daniel Fleischmann
«Im Boden versteckt sich ein Schatz an spannenden Unterrichtsideen»
Vom Malen mit den Farben der Erde bis zu anspruchsvollen Analysen: Der Boden bietet für alle Stufen spannende Lerngelegenheiten. Liv Kellermann beschäftigt sich mit Unterrichtsmaterialien verschiedener Anbieter. Sie sagt: «Man muss keine Bodenexpertin oder kein Bodenexperte sein, um den Schülerinnen und Schülern die Faszination und die Bedeutung des Bodens zu vermitteln!»
Das Thema Boden gerät zunehmend in den Blickpunkt des Interesses. Warum ist das so?
In immer mehr Situationen wird ersichtlich, dass auch der Boden nicht unendlich vorhanden ist. Ein Ausdruck davon ist die Bodenstrategie des Bundesrates mit Massnahmen zur nachhaltigen Sicherung dieser Ressource. Oder die Diskussionen über die intensive Landwirtschaft, Foodwaste, Überschwemmungen. Immer mehr Land- und Forstwirtschaftsflächen sind verdichtet – meines Erachtens die Folge von Preisdruck und immer grösseren landwirtschaftlichen Strukturen.
Warum sollen Lehrpersonen das Thema Boden aufgreifen?
Der Boden geht gern vergessen, weil er sich unsichtbar unter der Oberfläche befindet. Viele Menschen wissen kaum etwas darüber. Es ist aber ein wichtiges Thema. Denn der Boden geht uns alle an, er ist unsere Lebensgrundlage. Der Boden filtert unser Trinkwasser, hier wachsen unsere Lebensmittel, wir bauen auf ihm Häuser und Strassen, und er ist Lebensraum vieler Bodenlebewesen. Es ist wichtig, die Schülerinnen und Schüler für diese Leistungen und für den Schutz des Bodens zu sensibilisieren. So kann auf gesellschaftlicher Ebene längerfristig der nachhaltige Umgang mit dem Boden als nicht erneuerbare Ressource verbessert werden.
Wo findet sich das Thema Boden im Lehrplan 21?
Im Lehrplan 21 ist das Thema in allen drei Zyklen verankert. Für die Zyklen 1 und 2 findet sich im Fachbereich «Natur, Mensch, Gesellschaft» zum Beispiel die Formulierung, dass die Schülerinnen und Schüler «die Bedeutung von Sonne, Luft, Wasser, Boden und Steinen für Lebewesen erkennen, darüber nachdenken und Zusammenhänge erklären» können (2.2). In Zyklus 3 sollen sie lernen, «Wechselwirkungen innerhalb und zwischen terrestrischen Ökosystemen zu erkennen und zu charakterisieren» (9.2). Auch in den Fachbereichen «Wirtschaft, Arbeit, Haushalt» sowie «Räume, Zeiten, Gesellschaft» finden sich Vorgaben. Das am Lehrplan 21 orientierte Lehrmittel NaTech 3|4 und 5|6 nimmt im Themenbereich «Faszination Boden» das Thema mit dem Forscherblick unter die Lupe.
Was kann man eigentlich über den Boden lernen?
Eine Menge Dinge! Man kann an unterschiedlichen Orten Bodenproben nehmen und diese auf die Kernnährstoffe untersuchen; die Ergebnisse lassen sich dann zeitlich versetzt überprüfen. Man kann auch ein Sedimentationsexperiment durchführen: Welche Partikel finden sich da? Und in welchem Masse sind sie an einem Fluss oder auf einem Hügel zu finden? Auch die Regenwürmer kann man beobachten oder an einem Standort als Bioindikator zählen. Im Boden versteckt sich ein Schatz an spannenden Unterrichtsideen! Die Beispiele zeigen zudem, dass sich der Boden ausgesprochen gut für den Kompetenzerwerb durch Erfahren und Selbstexperimentieren eignet. Auf Sekundarstufe II bietet er ein ideales Lernfeld, um in Berührung mit wissenschaftlichen Fragestellungen und Vorgehensweisen zu kommen. Für die Umsetzung im Unterricht gibt es zahlreiche Materialien, die sich für den Einsatz im Schulzimmer, aber auch für draussen eignen – den Bodenkoffer oder die Bodentasche mit Forschungsaufträgen etwa. Solche Unterlagen können an vielen Pädagogischen Hochschulen, bei Bodenschutzfachstellen oder Organisationen wie dem Projekt LERNfeld von Globe ausgeliehen werden.
Mit welchen Stolpersteinen/Problemen muss man rechnen, wenn man das Thema Boden aufgreift?
Die Vielfältigkeit macht den Themenbereich extrem spannend. Sie birgt aber auch die Gefahr, dass man sich überfordert fühlt. Bereits vorhandene Materialien bieten eine Orientierung und ermöglicheneinen Überblick über die wichtigsten Themen. Bei einer Unterrichtseinheit draussen lässt sich viel entdecken und erforschen. Man muss keine Bodenexpertin oder kein Bodenexperte sein, um den Schülerinnen und Schülern die Faszination und die Bedeutung des Bodens vermitteln zu können! Ein zweites Problem ist vielleicht der Dschungel an Fachwörtern, die auch nicht immer klar definiert sind. «Humus» ist so ein Wort oder «Lehm».
Gibt es auch wirtschaftliche, philosophische, soziale Zugänge zum Thema?
Absolut. Der Boden veranschaulicht Zusammenhänge in einem Ökosystem und eignet sich durch seine unglaubliche Vielfalt an Themenbereichen für einen fächerübergreifenden und kompetenzorientierten Unterricht auf jeder Stufe. Spannend ist beispielsweise die Frage, ob und warum man eigentlich Boden besitzen darf. In Nomadenkulturen gab es das nicht. Und was hat das für Folgen? Kann man Böden nicht auch kollektiv bewirtschaften? Was unterscheidet Boden von den anderen Allgemeingütern wie Luft und Wasser? Da wird es fast schon philosophisch… Oder man kann künstlerisch ans Thema herangehen und sich mit den ersten Höhlenmalereien auseinandersetzen. Spannend kann auch ein historischer Blick sein, etwa auf die grossen Entwässerungsprojekte im Berner Seeland, die einen riesigen Eingriff in die Natur darstellen, aber auch eine enorme technische Leistung.
Ein klassischer Zugang zum Boden sind auch Schulgärten. Aber davon gibt es nicht gerade viele, oder?
Ich habe den Eindruck, dass wieder mehr Schulen solche Gärten einrichten. Die Kollegien merken, dass solche Gärten tolle Lernfelderbieten, natürlich auch zum Thema Boden.
Wie gut sind aus Ihrer Sicht die Lehrmittel im Bereich Boden?
Diese Frage haben wir uns zusammen mit der PH Bern auch gestellt – und das vorhandene Material systematisch gesichtet und teilweise mit Studierenden ausprobiert. Als Ergebnis dieser Arbeit haben wir das «IdeenSet Boden» aktualisiert – eine Website mit Hinweisen auf empfohlene Lehrmittel mit didaktischen Kommentaren und Experimenten (für alle Stufen) sowie weiteren Unterrichtsmaterialien. Damit liegt ein zuverlässiger und aktueller Überblick über die wichtigsten Materialien zum Thema Boden vor – genügend Material für einen lebendigen Unterricht.
Sie sind auch daran, ein «Bodennetz» zu gründen. Welche Idee steckt dahinter?
Die Gruppe ist Teil der Bodenkundlichen Gesellschaft der Schweiz. Unser Anliegen ist es, das Thema Boden noch besser in die Schulen zu tragen. Wir wollen gute Unterrichtsvorlagen sammeln und übersichtlich zur Verfügung stellen, Ideen für Exkursionen an ausserschulische Lernorte bekannt machen, Lehrpersonen bei der Vorbereitung des Unterrichts unterstützen oder auch Klassenbesuche durchführen. Zum Thema Wasser gibt es ja schon das «Wassernetz»; das hat uns inspiriert.