Gespräch mit dem Philosophielehrer Tobias Zürcher

 

Text: Daniel Fleischmann

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«Plötzlich überrascht darüber, wie man denkt»

Wenn man für Frieden ist, kann es sein, dass man den Krieg postuliert: Das ist die vielleicht schmerzhafteste Erkenntnis aus dem Krieg in der Ukraine. Mit solchen Themen beschäftigt sich Philosophielehrer Tobias Zürcher in seinem Unterricht.

Tobias Zürcher, wie wichtig finden Jugendliche es, über Frieden nachzudenken?

Als Philosophielehrer weiss ich, dass wir uns alle für die fundamentalen Menschheitsthemen wie Liebe, Gerechtigkeit oder Wahrheit interessieren; da gehört auch Frieden dazu. Dennoch wollten nicht alle Jugendlichen im Unterricht über den Krieg in der Ukraine sprechen, als ich das Angebot machte; die Vorbereitung auf anstehende Prüfungen war da noch wichtiger.

Was können Jugendliche im Gymnasium zum Thema Frieden lernen?

Ich finde es wichtig, zu klären, dass Krieg rechtlich betrachtet nicht Chaos bedeutet. Die Menschheit versuchte schon sehr früh, das Recht auf Krieg und das Recht im Krieg zu regeln und zu kontrollieren. Es stellt sich zum Beispiel die Frage, ob es einen gerechten Krieg gibt und welches seine Bedingungen sind. So erlaubt das Thema es auch sehr schön, an Begriffen zu arbeiten: Was heisst es, für den Frieden zu sein – gegen den Krieg zu sein? Was bedeutet Pazifismus? Was unterscheidet den absoluten Pazifismus vom kontingenten Pazifismus? Im besten Fall sind wir über Fragen wie diese plötzlich überrascht darüber, wie wir denken. Wenn die Jugendlichen lernen, da hinzugehen, wohin ihre Argumente sie führen, ist viel gewonnen.

Wo liegen Stolpersteine eines Unterrichts zum Thema Frieden?

Ethische Themen wie der Frieden sind oft emotional beladen. Das macht die Sache interessant, aber auch schwierig. Manchmal ist es gut, zu warten, bis eine Kontroverse etwas zurückliegt; mit Distanz fällt es auch mir als Lehrer zum Beispiel leichter, den Advocatus Diaboli zu spielen.

Ein Gegenwort zum Frieden ist auch Streit. Hat das Thema Platz in Ihrem Unterricht?

Das Thema steht nicht im Vordergrund. Eine Grundlage des Fachs Philosophie aber ist, dass man argumentiert, respektvoll widerspricht, sachlich bleibt. Ich erlebe selten, dass die Jugendlichen dazu nicht in der Lage wären und schlecht streiten würden. Das macht die Philosophie so interessant: Dass man zum Beispiel zutiefst religiös sein und zugleich über Gottesbeweise nachdenken kann.

Wie bereit sind die Jugendlichen, die Anwendung von Gewalt zu befürworten?

Das ist schwer einzuschätzen. Viele Jugendliche sind angesichts des Krieges ratlos. Andere haben das Bedürfnis nach Vergeltung; ihnen wäre eine Art Weltregierung am liebsten, die böse Dinge sühnt und Fehlentwicklungen verbietet. Dritte setzen sich kritisch mit der Aufrüstung im Westen auseinander.

Tobias Zürcher

 

 

Co-­Autor des Buches «Philosophie. Ein Lehrmittel fürs Gymnasium»; er verfasste u.a. das Kapitel «Globale Herausforderungen: Krieg und Frieden, Migration, Klimawandel».

 

 

 
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