Interview mit Rudolf Minsch

Text: Daniel Fleischmann

«Dieser Zug ist nicht mehr aufzuhalten»

Die Kreislaufwirtschaft eröffnet der Schweiz Potenziale, ihre Vorreiterrolle als Technologielieferantin auszubauen. Diese Feststellung ist in einem Dossier des Wirtschafts achverbandes economiesuisse zu finden. Rudolf Minsch, Leiter allgemeine Wirtschaftspolitik & Bildung, sagt, welchen Beitrag die Schule dazu leisten kann.

Rudolf Minsch, als Sie vor 15 Jahren Chefökonom von economiesuisse wurden, sagten Sie laut «Handelsblatt» ohne Zögern: «Ich orientiere mich an der Ökonomie.» Haben ökologische und soziale Dimensionen bei Ihrem Tun seither an Relevanz gewonnen?

Ökonomie ist eine Denkschule, wie man Probleme am besten löst. Sie ist auch für die Lösung von sozialen und ökologischen Problemen grundlegend. Ich sehe darum keine Widersprüche in den Begriffen und würde noch heute sagen, dass ich mich an der Ökonomie orientiere.

Aber man könnte Sie falsch verstehen. Ökonomische Grundsätze werden meist als Grundsätze der Wirtschaft verstanden und in einem Gegensatz zu sozialen und ökologischen Anliegen gesehen.

Aber wie wird man diesen Anliegen gerecht? Indem man die Kosten und den Nutzen von Problemlösungen gegeneinander abwägt. Das lässt sich an Grossthemen wie der Finanzierung der sozialen Sicherheit, dem Klimaschutz oder der Sicherung des Wohlstands zeigen. Die Ökonomie bildet eine moralisch nicht eingetrübte Brille zur Analyse und Bewältigung von ökologischen und sozialen Herausforderungen.

economiesuisse hat vor einem Jahr ein Grundlagenpapier zur Kreislaufwirtschaft publiziert. Können Sie die wichtigsten Feststellungen zusammenfassen?

Ausgangspunkt des Papiers bildet die Feststellung, dass die Schweizer Wirtschaft zwar auf gutem Weg ist, die ökologischen Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen, dass dieser Weg aber noch lang ist. Kreislaufwirtschaft hat im besten Fall positive Auswirkungen auf Ökologie und Wirtschaft und bietet dadurch enorm viele Chancen, die man ergreifen sollte. Doch für die Umsetzung braucht es viel Know-how und Investitionen in den Unternehmen. Entscheidend ist darum, dass die Wirtschaft bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen einbezogen ist; die Branchen sind dazu bereit, das zeigen ihr Umgang mit Glas oder PET oder die vorgezogene Recyclinggebühr. Zudem müssen Lösungen international koordiniert und abgestützt sein; besonders bei handelbaren Gütern ergeben Alleingänge keinen Sinn.

Wie gross ist die Verantwortung der Unternehmen für einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen?

Die Wirtschaft hat wie alle anderen Stakeholder eine grosse Verantwortung, und sie stellt sich ihr. Das zeigen zum Beispiel jene Firmen, die sich in der Science Based Target Initiative engagieren; die SBTi zielt auf eine klimaneutrale Produktion bis 2050, die auch Firmenniederlassungen im Ausland und bei den Zulieferern umfasst. Wir sind überzeugt, dass diese Entwicklung den Standort Schweiz letztlich stärken wird; darum unterstützen wir auch das Ziel des Bundesrats für eine klimaneutrale Schweiz bis 2050. Wenn man schaut, wer heute tatsächlich zur Erreichung des Kyoto-Protokolls beiträgt, ist es die Wirtschaft. Schwieriger sind die Bereiche Wohnen und Mobilität.

Tobias Stucki von der Fachhochschule Bern hat jüngst untersucht, wie weit verbreitet die Kreislaufwirtschaft ist. Nur gut zehn Prozent wagen sich an neue, zirkuläre Geschäftsmodelle.

Wir sind weiter als dieses Fazit glauben lässt. Die Probleme sind erkannt, beim Recycling verzeichnen wir grosse Fortschritte. Und eine parlamentarische Initiative will nun gezielt Hemmnisse abbauen. Die Bemühungen von Unternehmen, die aus eigener Initiative Massnahmen ergreifen, werden gefördert. Dies wird von economiesuisse ausdrücklich begrüsst. Aber ja, das Thema hat noch viel Potenzial. Eigentlich könnte man schon heute Häuser bauen, die man vollständig wiederverwerten kann, aber es ist nicht leicht, die Leute davon zu begeistern. Das hat auch mit Silodenken zu tun: Viele Architekten sehen sich als Ästheten, nicht als Materialwissenschaftler.

Wie viel Potenzial hat es, Dinge zu vermieten statt zu verkaufen?

Ich bin überzeugt davon, dass sich das als wichtige Konsumform etablieren wird – vor allem bei Gütern, die man nicht täglich braucht. Immer mehr Leute verzichten auf den Besitz eines Autos, das sie ja doch nur sporadisch brauchen.

Welche Verpflichtung hat die Schule bei der Vermittlung des Themas Kreislaufwirtschaft?

Im Lehrplan 21 ist klar umrissen, welche Kompetenzen für nachhaltige Entwicklung die Kinder in der Schule erwerben sollen. Wir halten diese Festlegungen für richtig. Ein wichtiger Aspekt ist etwa, dass die Kinder lernen, dass Kreislaufwirtschaft alle etwas angeht – und Schuldzuweisungen etwa an die Ausländer oder die Wirtschaft nicht weiterführen. Man kann das am Skandal von Food Waste gut illustrieren. Über die Hälfte der weggeworfenen Lebensmittel könnte noch gegessen werden.

Sie haben selbst während fünf Jahren an einer Primarschule unterrichtet. Wie würden Sie mit dem Thema umgehen?

Je nach Alter unterschiedlich. In den ersten drei Klassen ist alleine schon der Besuch einer Wasserreinigungsanlage für die Kinder erhellend: Was passiert mit dem Wasser aus unserer Toilette, welcher Aufwand ist nötig, damit wir in unseren Gewässern wieder schwimmen können? Mit älteren Schülerinnen und Schülern würde ich einen Produktionsbetrieb in der Region besuchen und Recherchen zum Energieaufwand, zum Warenfluss oder zum Umgang mit Abfällen durchführen. Auch persönliche Klimabilanzen wären spannend, denke ich.

Mit solchen Projekten riskieren Lehrpersonen den Vorwurf der Indoktrination. Wie ist darauf zu antworten?

Mit einem Unterricht, der nicht ideologisch aufgeladen ist, sondern der Sache verpflichtet. Der Lehrplan 21 beschreibt das gut. Es geht darum, dass die Kinder lernen, Zusammenhänge zu erkennen und Handlungsperspektiven zu erschliessen; das schützt sie vor vereinfachenden Antworten.

Was können Wirtschaftsverbände oder Unternehmen zum Thema in die Schulen einbringen?

Der grösste Hebel ist es, offene Türen zu haben. Wenn Lehrerinnen anrufen, Schulklassen sich melden, soll man sich für ihre Anliegen Zeit nehmen. Seitens der Wirtschaft existieren zudem verschiedene Organisationen zur Vermittlung von Wirtschaftswissen, wirtschaftsbildung.ch oder Young Enterprise Switzerland etwa. Allerdings haben wir mehr Mühe als Organisationen wie der WWF, in die Schule zu kommen. Dabei braucht die Auseinandersetzung mit Themen der Nachhaltigkeit die ökonomische Perspektive; ohne sie kann man nicht über Kreislaufwirtschaft sprechen.

Prof. Dr. Rudolf Minsch

 

 

Chefökonom von economiesuisse, Stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsleitung und Leiter allgemeine Wirtschaftspolitik & Bildung.

«Ein wichtiger Aspekt ist etwa, dass die Kinder lernen, dass Kreislaufwirtschaft alle etwas angeht.»

 

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