Von Zielen zu Kompromissen
Warum die SDGs wie alle Ziele sind | THOMAS ABPLANALP
Ziele treiben einen an, motivieren. Sie können sich aber auch widersprechen. Das zeigen mitunter Schulnoten und Pausen.
«Warum willst du – wenn überhaupt – gute Noten?» Diese Frage startet im Unterricht einen Marathon der Antworten. Aber anders als die Läufer rennen nicht alle Lernenden in dieselbe Richtung; ihre Ziele unterscheiden sich. Einige streben eine Hochschulkarriere an, andere wollen eine möglichst objektive Rückmeldung zu ihrer erbrachten Leistung, wieder andere wollen ihre Eltern stolz machen oder erhoffen sich, von ihnen belohnt zu werden.
Eine kritische Auseinandersetzung mit (diesen) Zielen gelingt nur, wenn die Diskutierenden überhaupt wissen, was ein Ziel ist. Dabei verlangt bereits die Begriffsklärung differenziertes Denken. Betrachtet man ein Ziel beispielsweise als ein angestrebtes Ergebnis, das jemand mit eigenem Handeln zu erreichen versucht, stellt sich unter anderem die Frage, ob das «angestrebte Ergebnis» von einem selbst gewollt oder vom Umfeld erwartet wird.
Widersprüchliche Ziele
Diese Frage löst gerade bei Lernenden häufig einen inneren Zielkonflikt aus. Einerseits sollten sie zu Hause für eine Prüfung lernen, um gute Noten zu schreiben, andererseits möchten sie mit Freunden Fussball spielen gehen. Kognitive Dissonanz bezeichnet Zustände wie diese, in denen eines der Ziele einen (vermeintlich) normativen Gehalt – «ich sollte» – enthält, jedoch das andere Ziel angestrebt wird.
Vor allem bezogen auf natürliche und soziale Dringlichkeiten kennen Menschen das Phänomen der kognitiven Dissonanz. Zum Beispiel begrüssen viele den Klimaschutz, doch fliegen sie in ihrem Urlaub trotzdem mit dem Flugzeug auf die andere Seite der Welt, um etwas zu erleben. Oder sie bedauern das Verschwinden von kleinen lokalen Geschäften (in Innenstädten), bestellen ihre Kleidung aber gemütlich zu Hause von ihrem Sofa aus online. Vermutlich ist es nicht verallgemeinernd, zu behaupten, dass wir uns alle hin und wieder kognitiv dissonant verhalten.
Kompromisse finden
Sofern im Fall von kognitiver Dissonanz die Bereitschaft fehlt, eines der Ziele aufzugeben, bleibt nur die Möglichkeit, einen beruhigenden Kompromiss mit sich selbst zu finden oder das Unbehagen zu ertragen. Bezogen auf das Beispiel oben löst eine Person ihre kognitive Dissonanz möglicherweise dadurch, dass sie ihre Kleidung in lokalen Geschäften kauft, dafür alle paar Jahre mit dem Flugzeug in die Ferien fliegt. Unabhängig davon, ob dieser Kompromiss aus ökologischer Sicht überzeugt, löst er das Unbehagen der Person. Anders gesagt, wie (schnell) sich kognitive Dissonanzen lösen lassen, hängt von eigenen Werten und Vorstellungen ab.
Das Finden und Schliessen von Kompromissen gehört für Lernende zum Unterrichtsalltag dazu. Vor allem in Pausen treffen häufig verschiedene Ziele aufeinander, unter der Annahme, dass die Lernenden bezüglich ihrer Pausenbeschäftigung gewisse Interessen haben und das Nachgehen ebendieser mit einer Zielsetzung verbunden ist. Die einen wollen auf dem Pausenplatz Fussball, andere lieber Unihockey spielen und noch andere wollen schlichtweg auf dem Boden liegen und die Sonne geniessen. Damit keine Streitereien ausbrechen, müssen die Lernenden also gemeinsam eine Lösung finden. Im Unterricht greift die Lehrperson solche Momente auf und diskutiert mit den Lernenden, wie sie in solchen Fällen einen Kompromiss schliessen können, damit alle zufrieden sind. Das Schliessen von Kompromissen verlangt das Wechseln von Perspektiven, das Hinterfragen eigener und fremder Werte, und auch das Ausnutzen von Handlungsspielräumen ist mitentscheidend. So gesehen fördern die Lernenden ganz von selbst BNE-Kompetenzen im Schulalltag. Durch das Thematisieren im Unterricht wird ihnen das bewusst, und sie reflektieren ihre und fremde Ziele. Selbst wenn die Lernenden anders als Marathonläufer nicht in dieselbe Richtung rennen, so stehen sie sich durch das Schliessen von Kompromissen zumindest gegenseitig weniger im Weg. Diese Fähigkeit ist nicht nur für den Schulalltag, sondern auch für ein demokratisches Zusammenleben und für eine nachhaltige Entwicklung von grosser Wichtigkeit.