Editorial
Bärenstarke Bildung
Vom Honigdachs und von seinen Heldentaten kursieren im Internet zahlreiche Videos: Er kämpft darin furchtlos mit einer Kobra oder gegen drei Leoparden gleichzeitig – und gewinnt. Er tüftelt sich mit immer neuen Ideen aus einem Erdloch heraus. Und er trabt in die Welt hinaus, als könnte ihn nichts erschüttern. Der Honigdachs – intelligent, erfinderisch, mutig. Er fasziniert uns, genauso wie Menschenaffen, die Werkzeuge benutzen, oder Elefanten, die ihre Toten betrauern. Im Verhalten dieser Tiere entdecken wir ein Stück weit uns selbst.
Mit dem Koalabären wollen wir dann aber am liebsten kuscheln, die Spinne vor Furcht zerquetschen. Der Wolf löst landesweit heftige Debatten aus, das Kälbchen finden wir herzig, das Rind wird als Cervelats gebraten. Bienen anerkennen wir als fleissig, den Beitrag weiterer Insekten zum Erhalt der Biodiversität unterschätzen wir dagegen gewaltig. Diese wenigen Beispiele zeigen auf: Unser Verhältnis zu Tieren ist so vielfältig wie ambivalent. Gleichzeitig setzen sich die Lehrpläne sehr prominent damit auseinander. Der didaktischen Annäherung sind dabei keine Grenzen gesetzt. Im Sprachunterricht untersuchen wir Tieranalogien: Warum sind wir bärenstark und hundemüde, bekommen Gänsehaut und bauen uns Eselsbrücken? Im Natur- und Technikunterricht gehen wir der Frage nach, wie das Tierreich menschliche Erfindungen inspiriert, oder gäbe es wohl ohne tierische Vorbilder Flugzeug und Schwimmflossen? Auf welcher Grundlage teilen wir Tiere in Haustier-, Nutztier-, Wildtierkategorien ein? Warum ist den Tieren kein eigenes UNO-Nachhaltigkeitsziel (S. 14–16) gewidmet? Und was bedeutet es für die natürliche Umwelt, wenn der Mensch dem Wildtier den Lebensraum streitig macht (S. 12– 13)? In Büchern und Filmen wie auch in klassischen Lernmedien spiegeln sich in der Darstellung von Tieren eher aktuelle gesellschaftliche Werte und Stereotypen als reales Verhalten von Tieren (S.10–11). Warum ist das so?
Diese Fragen ermöglichen Perspektivenwechsel, Wertediskussionen und systemisches Denken, also all das, was den BNE- Unterricht ausmacht. Wie sie konkret in den Unterricht gebracht werden, zeigen das neue Themendossier «Tier» und das vorliegende «ventuno». Im Interview (S. 2–4) diskutieren Zoodirektor Olivier Pagan und Rechtsprofessor Peter V. Kunz über Kritik an Zoos und darüber, ob Tiere mehr Rechte erhalten sollen. Einig sind sie sich in einer Sache: Das Wichtigste, was Kinder im Umgang mit Tieren lernen, sei Respekt und Verantwortung. Schaut man dem Honigdachs zu, ist nichts weniger zu erwarten.