KI entmystifizieren

Foto © Justine Emard Adagp, Text: Dr. Isabelle Bosset

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«Ein Cocktail aus Interaktivität, Wissenschaftskultur und künstlerischen Beiträgen»

Das Musée de la main UNIL-CHUV in Lausanne greift ein komplexes und aktuelles Thema auf: die künstliche Intelligenz. Die Ausstellung «Artificial Intelligence. Nos reflets dans la machine» ermöglicht es mit einer gelungenen Mischung aus kognitiven und sensorischen Ansätzen und einer interdisziplinären Sichtweise, neue Perspektiven zu entdecken und das Publikum mit grundlegenden Fragen zu konfrontieren. Ein ausserschulisches Erlebnis der besonderen Art für Schülerinnen und Schüler ab zehn Jahren (bis 24. September 2023).

Nach Ansicht von Olivier Glassey, Direktor des Museums, soll sich jeder Mensch über KI eine fundierte Meinung bilden können. Er freut sich denn auch, dass die Ausstellung «Artificial Intelligence» einen Beitrag dazu leistet, KI zu einem gesellschaftlich relevanten Gesprächsthema zu machen. Die Ausstellung versteht sich als eine «begehbare Entdeckungsreise, die auf spielerische Art und Weise die Stärken und Schwächen der KI aufzeigt». Dies gilt sowohl für Lehrkräfte, denen didaktische Begleitung und Workshops angeboten werden, als auch für Schülerinnen und Schüler, die hier von einem Setting profitieren, das vom schulischen Lernumfeld abweicht.

Die Ausstellung beginnt in einem abgedunkelten Raum, der Artefakte aus Science-Fiction-Filmen zeigt und an die Vorstellungskraft appelliert. Dieser Einstieg entspricht dem Konzept des Museums, das kognitive, sensorische und emotionale Zugänge zu den behandelten Themen anbieten will: «Auch Körper und Emotionen sind legitime Grundlagen, um ein Thema zu erfassen und Fragen zu stellen.» So können die Kinder und Jugendlichen eine Beziehung zum Wissen entdecken, die weniger akademisch ist als in der Schule.

Die Filme zeigen eine mehr oder weniger wünschenswerte Zukunft, was den Einsatz von KI betrifft. Die Botschaft, die sich durch die gesamte Ausstellung zieht, lautet: KI ist an sich weder gut noch schlecht. Sowohl die Chancen als auch die Gefahren der KI werden aufzeigt und jede Übertreibung vermieden – eine zu idealistische Sichtweise ebenso wie die Vorstellung einer von Natur aus schlechten KI. Die Schülerinnen und Schüler gewinnen so eine differenzierte Sichtweise, dank der sie über einseitige Diskurse hinausgehen und ihr kritisches Denken entwickeln können.

Nach diesem sinnlichen Einstieg folgt eine wissenschaftliche Definition von KI. Beim Gang durch die Räume wird das Publikum von Forschenden aus unterschiedlichen Fachbereichen begleitet, um so unterschiedliche Begriffswelten in einen Dialog zu bringen: «Die Besucherinnen und Besucher sollen verschiedene Glockentöne hören (…) eine Vielstimmigkeit rund um ein und dasselbe Thema.» In einer komplexen Welt ermöglicht es diese Vielfalt an Perspektiven, sich eine fundierte Meinung zu bilden, so dass Kinder und Jugendliche zu aufgeklärten Bürgerinnen und Bürgern werden können.

Ein Beispiel eines solchen Dialogs ist eine Reihe von Gemälden, auf denen man einen Himmel, Wolken und Berge zu erkennen glaubt. In Wirklichkeit handelt es sich aber um ein Kunstwerk, das die Grenzen der Bilderkennung durch KI aufzeigt. Dazu wurden gerade so viele Pixel aus den Bildern entfernt, dass die KI die Landschaft nicht mehr erkennen kann. Der Kipppunkt zwischen einer hyperleistungsfähigen und einer hilflosen KI macht neugierig und stellt bestehende Vorstellungen auf den Kopf.

Dieser Zugang zu vielschichtigem Wissen prägt auch einen weiteren Raum, in dem ein buntes Kabelgewirr die Dunkelheit erhellt – eine ungewöhnliche Kulisse, die die physikalischen Aspekte der KI aufzeigt. Unter ihrer vergänglichen Oberfläche «gibt es nichts Materielleres als das Digitale», so Glassey. Auch bezüglich Nachhaltigkeit regt dieser Raum zum Nachdenken an: Was sind die Vorteile und die Kosten der KI im Spannungsfeld zwischen Optimierung und Ausbeutung von Ressourcen? Fragen, die im Unterricht aus der Perspektive der BNE aufgegriffen werden können.

Ein weiterer Aspekt, der oft untergeht, betrifft die Menschen, die die Maschinen mit den nötigen Daten füttern. Wer gewinnt durch KI und wer verliert? Und unter welchen Ungerechtigkeiten leiden diese «Zuarbeiterinnen und Zuarbeiter» des digitalen Bereichs? Solche Fragen können aus der Sicht der BNE spannende Diskussionen mit älteren Schülerinnen und Schülern eröffnen. Ganz im Sinne der Interdisziplinarität klärt die Ausstellung auch über die Anwendungsbereiche von KI auf. Wo wird KI eigentlich eingesetzt? Die Palette ist überwältigend: Cybersicherheit, Bildung, Mobilität, Industrie, Logistik, Rüstung, Finanzen, Justiz, Steuerbehörden, Sozialversicherungen, Gesundheit …

Das wirft nicht nur die Frage auf, ob all diese Aufgaben an KI delegiert werden sollen, son- dern erfordert auch ethische Entscheidungen zum Einsatz von KI. Aber «um den Maschinen zu vertrauen, muss man den Menschen vertrauen» (Alberto Bondolfi, Ethiker, Honorarprofessor Universität Genf). Die Überlegungen betreffen also eher den Menschen als die KI, wie Olivier Glassey sagt: «Uns interessiert an KI nicht so sehr die Technologie als vielmehr der Mensch; das Abenteuer, Mensch zu sein.»

Wenn Schülerinnen und Schüler schon in jungen Jahren lernen, in diesen Kategorien zu denken, werden sie sich einfacher an komplexen und unausweichlichen Gesprächen über individuelle und kollektive Fragen beteiligen können, die bereits Teil ihres Alltags sind.

Weitere Informationen

Ausstellung: Artificial Intelligence. Nos reflets dans la machine

 

Das Museum stellt Lehrpersonen diverse unterstützende Angebote zur Verfügung:
-    Workshops «A l’école des machines», ab der 3. Klasse bis zur Sek II: Funktionsweise der KI, Grenzen und Herausforderungen, Anwendungen und Fragen anhand eines spezifischen Themas (selbstfahrende Autos, Gesichtserkennung).
-    Workshop «Bulle informationnelle » für die Sekundarstufe II zum Thema der Abkapselung, die z. B. durch die Algorithmen von sozialen Netzwerken hervorgerufen wird.
-    Unterlagen zur Vorbereitung des Museumsbesuchs für Lehrpersonen, mit Bezug zum Westschweizer Lehrplan (PER)
-    Unterlagen für einen Rundgang durch die Ausstellung
-    Führungen

Quellen und Dank

Alle Zitate in Anführungszeichen stammen aus einem Interview mit Museumsdirektor Olivier Glassey, bei dem wir uns herzlich bedanken. Unser Dank geht auch an Roxanne Currat, Kuratorin des Bereichs Wissenschaften und Verantwortliche für Kulturvermittlung, für die Informationen zu den pädagogischen Angeboten sowie an Martine Meyer, Kuratorin des Bereichs Geschichte und Verantwortliche für Kommunikation und Werbung.

 
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