Service Learning: eine Methode für BNE

 Text: Dr. Isabelle Bosset, mit Unterstützung von Noah Stucky

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Wie die Schule die Jugendlichen auf den Wandel der Arbeit vorbereiten kann: Beispiel Service Learning

Ein Schüler schiebt einen mit Blumenerde­-Säcken gefüllten Karren durch das Wohnzimmer einer Frau. Er ist gerade dabei, im Rahmen eines Service-­Learning­-Projekts auf dem Balkon der Frau einen «vertikalen Garten» anzulegen. Das Projekt wurde während der Corona-­Pandemie lanciert. Solche Projekte, die den Dienst an der Gemeinschaft mit Lernen verbinden, bereiten junge Menschen auf die vielschichtigen Herausforderungen ihres beruflichen und gemeinschaftlichen Lebens vor.

Arbeit und Berufsleben im Zeichen der Veränderung

Arbeit erfüllt ganz grundlegende Funktionen: Finanzierung unserer Bedürfnisse, soziale Integration, Zugehörigkeitsgefühl. Unter dem Einfluss politischer, sozialer und kultureller Entwicklungen ist sie einem ständigen Wandel unterworfen – dies zeigt sich in der Entwicklung von den dreissig glorreichen Jahren (1945–1975) und der Vollbeschäftigung über die Flexibilisierung und Prekarisierung bis hin zur Globalisierung und Digitalisierung. In jüngster Zeit hat die Covid-19-Krise neue Trends wie Homeoffice, (Wieder-)Aufwertung bestimmter Berufe oder die erneute Suche nach dem Sinn der Arbeit hervorgebracht.

Die ökologischen (Klimaerwärmung, Verarmung der Biosphäre usw.) und sozialen (wachsende Ungleichheit, Krieg usw.) Krisen werden immer deutlicher sicht- und spürbar und führen zu tiefgreifenden Veränderungen in unserer Gesellschaft, von denen auch die Arbeit nicht ausgenommen ist. Sie stellen unseren Lebensstil, unsere Werte und vor allem unsere Konsum- und Produktionsmuster infrage.

Welche Auswirkungen haben diese globalen Herausforderungen auf Arbeit und Berufsleben?

Es gibt sowohl Gefahren als auch Chancen. Einerseits werden wir vor den negativen Auswirkungen dieser Krisen gewarnt: Arbeitsplatzverlust, Betriebsunterbrechungen, Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, Zwangsmigration (Frequently Asked Questions on Climate Change, 2015). Andererseits gibt es in einigen Berufsfeldern wie etwa Energie, Landwirtschaft, Architektur, Verkehr oder Finanzwesen aber auch Spielräume, um diese Folgen zu mildern (IPCC, 2022).

Zur Bewältigung all dieser Veränderungen benötigen künftige Berufsleute, aber auch Bürgerinnen und Bürger spezifische Kenntnisse und Kompetenzen, und sie müssen die Möglichkeit haben, sich als moralische Wesen weiterzuentwickeln (Öhman & Östman, 2019). Sie werden sich anpassen, aber auch engagieren müssen, um neue Arbeits- und Lebensweisen zu schaffen.

Welche Rolle kann die Schule in diesem Kontext spielen?

Die Schule verfolgt mehrere Ziele: Sie soll die berufliche und soziale Eingliederung der Jugendlichen fördern und sie im Sinne der Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) dazu befähigen, zu Bürgerinnen und Bürgern einer komplexen Welt zu werden. Vor allem aber soll sie zu ihrer Entfaltung beitragen.

Um diese ehrgeizigen Ziele zu erreichen, muss sich die Schule neu erfinden – vor allem durch pädagogische Methoden, die die Kompetenzentwicklung der Jugendlichen, den Unterricht und die Schule selbst weiterbringen. Service Learning (SL) ist eine solche Methode, bei der sich die Jugendlichen, unterstützt von ausserschulischen Akteuren, mit einem zivilgesellschaftlichen Problem befassen. Dieses Problem wird im Unterricht behandelt und reflektiert, wodurch die Verbindung zwischen schulischen Inhalten und gesellschaftlichem Engagement hergestellt wird. In BNE wird Service Learning auf Nachhaltigkeitsprobleme ausgerichtet.

Was es zur Umsetzung braucht

Sechs Faktoren sind notwendig:
1.    Ein echtes Bedürfnis: Ein echtes Bedürfnis der Gemeinschaft identifizieren, das von allen als sinnvoll wahrgenommen wird.
2.    Bezug zum Lehrplan: SL in den Stundenplan integrieren und mit den Lernzielen des Lehrplans verknüpfen.
3.    Reflexion: Erfahrungen aus der Praxis reflektieren und dabei den Fokus auf Verbindungen zwischen Ökologie, Gesellschaft und Wirtschaft; Erwartungen und Vorurteile; Emotionen und Bedürfnisse; Ergebnisse und Lernerfahrungen legen.
4.    Partizipation der Jugendlichen: Alle Jugendlichen aktiv in SL und den eigenen Lernprozess einbeziehen, den die Lehrkraft fördert und unterstützt.
5.    Engagement ausserhalb der Schule: Mit Menschen aus verschiedenen soziokulturellen Milieus kommunizieren, mit ihnen Projekte planen und koordinieren, um sich mit dem Anderssein auseinanderzusetzen.
6.    Anerkennung und Abschluss: Die Ergebnisse und den Einsatz der Jugendlichen im SL-Projekt während des ganzen Prozesses durch Feedback und eine Abschlussveranstaltung sichtbar machen.

Positive Auswirkungen

Service Learning ermöglicht es den Jugendlichen, das Vereins- und Wirtschaftsgefüge ihrer Gemeinde kennenzulernen, berufliche Perspektiven zu entdecken oder gar ein erstes Netzwerk aufzubauen. Dies trägt zu ihrer Identitätsbildung bei und schafft ein Gefühl der Zugehörigkeit (Kensler & Uline, 2017). Service Learning fördert die Übernahme von Verantwortung, die Kooperation, die Führungsqualitäten, die Partizipation und systemisches Denken – essenzielle soziale und gesellschaftliche Kompetenzen, um sich in einer Welt im Wandel zu orientieren und den eigenen Platz als Bürgerin, Bürger und Berufsperson zu finden. Die Konfrontation mit dem «wahren Leben» trägt zudem dazu bei, Werte zu reflektieren. Vor allem aber kann Service Learning den Wunsch nach Engagement stärken und zeigen, dass es möglich ist, etwas zu verändern (Backhaus-Maul & Jahr, 2021; Molderez & Fonseca, 2018).

Für Lehrkräfte bietet Service Learning die Möglichkeit, das mit dem Lehrplan verbundene Wissen tiefer und nachhaltiger zu verankern und dem Unterricht mehr Sinn zu verleihen. Durch die Partnerschaften, die dadurch entstehen, wird die Schule offener. Und das wiederum kann zur Vision einer Schule beitragen, die auf nachhaltigen und demokratischen Grundsätzen beruht, und einen frischen Wind in die institutionelle Kultur bringen.

Schlussfolgerung

Sich Lösungen ausdenken, zusammenarbeiten, sich mit der Realität auseinandersetzen und die eigenen Werte hinterfragen: All diese Aspekte machen Service Learning zu einer besonders interessanten Methode in einem beruflichen, aber auch gesellschaftlichen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Umfeld, das einem tiefgreifenden Wandel unterworfen ist.

Literatur

Backhaus-Maul, H., & Jahr, D. (2021). Service Learning (T. Schmohl & P. Thorsten, Hrsg.), Handbuch Transdisziplinäre Didaktik (S. 289–299). transcript Verlag.

Blum, J., Fritz, M., Taigel, J., Singer-Brodowski, M., Schmitt, M., & Wanner, M. (2021). Transformatives Lernen durch Engagement – Soziale Innovationen als Impulsgeber für Umweltbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung. Umweltbundesamt.

Frequently Asked Questions on Climate Change and Jobs. (2015, 27. Mai), aufgerufen am 13.10.2022.

IPCC (2022). Climate Change 2022: Mitigation of Climate Change. Contribution of Working Group III to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge University Press, Cambridge, UK, and New York, NY, USA.

Kensler, L. A. W., & Uline, C. L. (2017). Leadership for Green Schools: Sustainability for Our Children, Our Communities, and Our Planet. Taylor & Francis.

Molderez, I., & Fonseca, E. (2018). The efficacy of real-world experiences and service learning for fostering competences for sustainable development in higher education. Journal of Cleaner Production, 172, 4397 4410.

Öhman, J., & Östman, L. (2019). The ethical tendency typology. In Sustainable Development Teaching (83 92). Routledge.

Servicelearning – Lernen durch Engagement. (N. d.), aufgerufen am 13.10.2022.

Umweltbundesamt, eigene Darstellung erstellt nach Seifert, Zentner, Nagy (2012), (n. d.).

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