Aufs richtige Pferd gesetzt

miser sur le bon cheval

Tiere im BNE-Unterricht | TANJA STERN

Aus menschlicher Perspektive erfüllen Tiere verschiedene Rollen, manchmal mehrere gleichzeitig. Von «Jöö» bis «Igitt!» lösen sie zudem unterschiedlichste Reaktionen aus. Am Beispiel Pferd zeigt dieser Text, wie «Tiere» als Lerngegenstand Eingang in den BNE-Unterricht finden.

Tiere sind in unserem Alltag omnipräsent. Sie begegnen uns bei Freizeitaktivitäten in der Natur, sind Spielgefährten vieler Kinder, landen als Nahrung auf dem Teller oder unterstützen im Arbeitsleben. Es erstaunt nicht, dass Tiere auch längst im Schulunterricht Einzug gehalten haben. Wie kann der Lerngegenstand «Tiere» im Sinne einer BNE inhaltlich umfassend behandelt werden?

Ambivalentes Verhältnis zu Wildtieren, Nutztieren, Haustieren

Das Verhältnis zwischen Menschen und Tieren ist vielfältig, aber auch ambivalent. Mit Hunden und Katzen wird gekuschelt. Pferde unterstützen in Therapien und ziehen schwere Lasten. Insekten können Ekel erregen und leisten gleichzeitig einen zentralen Beitrag zu unserer Ernährungssicherheit. Wir kategorisieren Tiere in Wild-, Nutz- und Haustiere. Das prägt den Umgang mit ihnen massgeblich, jede Kategorie ruft andere Emotionen hervor. Fachkreise wie auch grosse Teile der Gesellschaft führen kontroverse Diskussionen darüber, in welchem Verhältnis Mensch und Tier zueinander stehen. Biologinnen und Biologen sehen den Menschen als Teil des natürlichen Ökosystems. Tierschutzvereine fordern ein würdiges Tierleben. Vegan lebende Personen verzichten komplett auf den Konsum tierischer Produkte. Bäuerinnen und Bauern befinden sich im Spannungsfeld von Kosten, Nutzen und Tierwohl. Solche unvereinbar scheinenden Interessen und die starken Emotionen, die Tiere auslösen können, erschweren es, die eigene Position zu klären.

Im Unterricht wird gelernt, mit Ambivalenz umzugehen

Der Lerngegenstand «Tiere» sollte diese Ambivalenz im Mensch- Tier-Verhältnis nicht nur thematisch aufgreifen, sondern Schülerinnen und Schüler befähigen, mit diesen Gegensätzlichkeiten umzugehen und mit eigenen Standpunkten an gesellschaftlichen Diskursen teilhaben zu können. In einem ersten Schritt gilt es, mehrperspektivisch und interdisziplinär Wissen über die Rollen von Tieren aufzubauen mit dem Ziel, das vernetzte Denken zu fördern und Widersprüchlichkeiten und Handlungsspielräume zu erkennen. Die Diskrepanzen im Mensch-Tier-Verhältnis helfen, Perspektivenwechsel zu üben und eigene Standpunkte herauszubilden und zu vertreten. In einem zweiten Schritt setzen sich Schülerinnen und Schüler mit eigenen und den Vorstellungen anderer auseinander, wie das Verhältnis zwischen Menschen und Tieren zukünftig gestaltet werden kann und soll.

Umsetzung am Beispiel Pferd

Das Pferd soll nun als Beispiel dienen, wie ein bestimmtes Tier im BNE-Unterricht thematisiert werden kann. Die unten folgenden nachhaltigkeitsrelevanten Fragestellungen leiten Lehrpersonen an, das Tier in seinen ökologischen, ökonomischen, sozialen, räumlichen und zeitlichen Dimensionen zu erfassen, und ermöglichen es ihnen, wichtige Sachkonzepte (z. B. das Pferd in seinem natürlichen Lebensraum, historischer Wandel der Mensch-Pferd- Beziehung, das Pferd als Nutztier) als Vorbereitung für den Unterricht auszuarbeiten. Den Schülerinnen und Schülern bieten sie mehrperspektivische Zugänge, um Systemwissen hinsichtlich der Mensch-Tier-Beziehung aufzubauen.

Welche Bedeutung hat das Pferd aus ökologischer Perspektive?

Bei Pferden wird aufgrund ihrer Geschichte zwischen wild lebenden Pferden und Wildpferden unterschieden. Als wild lebende Pferde gelten Nachfahren von einst domestizierten Pferden, die heute in der freien Natur leben (Mustangs). Biologisch betrachtet sind Przewalski-Pferde die letzten Wildpferde. Doch auch sie waren, aufgrund menschlicher Einflüsse, beinahe ausgestorben. Mittels intensivem Zuchtprogramm in Zoos konnten neue Populationen in ihrem ursprünglichen Lebensraum ausgewildert werden. Pferde sind Flucht- und Herdentiere. In ihrem Habitat nehmen sie wichtige Funktionen für den Erhalt eines ausgewogenen Ökosystems ein: Pferde graben tiefe Löcher, um an Wasserreserven zu gelangen. Von diesen Wasserstellen profitieren nicht nur andere Wildtiere, sondern auch pflanzliche Lebewesen. Da Pferde Pflanzenfresser sind, verbreiten sie über ihren Kot verschiedene Pflanzensamen und tragen so zur Biodiversität bei. Letztendlich haben Pferde in der freien Wildbahn auch natürliche Feinde und dienen insbesondere grösseren Raubtieren als Nahrungsquelle.

Welche Bedeutung hat das Pferd aus ökonomischer Perspektive?

Menschen begannen schon vor Tausenden von Jahren, Pferde zu jagen, zu züchten und als Nutztiere im Alltag zu verwenden. Das Pferd machte es möglich, weite Strecken zurückzulegen und ferne Gebiete zu entdecken. Doch sie waren und sind nicht nur ein Transportmittel, sondern kamen und kommen auch auf dem Feld zum Einsatz. Im Kampf verschafften Pferde Kriegern einen immensen Vorteil, weshalb sie für die Machtdynamik bedeutend waren. In heutigen Zeiten nehmen Pferde eine tragende Rolle im Sport ein, unterhalten Menschen im Zirkus und werden als Luxusgut gehandelt. Nicht zuletzt landen sie als Steak auf dem Teller.

Welche Bedeutung hat das Pferd aus gesellschaftlicher Perspektive?

Dass Pferde schon von jeher wichtig für den Menschen waren, erkennt man an den unzähligen Traditionen und Mythen, in denen Pferde eine Rolle spielen (z. B. Trojanisches Pferd). Lange Zeit galt das Pferd auch als Symbol von Männlichkeit und Freiheit. Heute ist es oft das Lieblingstier von Kindern. Das Halten von Pferden ausserhalb der Landwirtschaft oder die Teilnahme an Pferdeevents gilt als Statussymbol.

Diese systemische Analyse zeigt, dass das gleiche Tier unterschiedliche Rollen ausüben kann, den Menschen zu unterschiedlichen Handlungen bewegt und in ihm verschiedenartige Emotionen auslöst. Aufbauend auf diesem Systemwissen können nun weiterführende BNE-Fragen im Unterricht behandelt werden. Die Fragen verlangen keine eindeutigen Antworten. Vielmehr geht es darum, darüber zu diskutieren und eine eigene Meinung zu bilden und zu vertreten.

  • Darf ich das Pferd je nach Zuschreibung (Wild-, Nutz- oder Heimtier) anders behandeln?
  • Welche Verantwortung sollen Besitzer und Besitzerinnen gegenüber Pferden haben?
  • Kann und soll ich gegenüber Pferden in der Wildnis Verantwortung übernehmen?
  • Wie gehen wir mit diesem widersprüchlichen Verhältnis zwischen Pferden und Menschen um?
  • Welchen Umgang mit Pferden wünsche ich mir für die Zukunft?

Weiterführende Fragestellungen und stufenspezifische Praxistipps finden sich im Themendossier «Tier».  

Quellen
– Buth, Christine (2021) : Wilde Pferde. Abgerufen unter: www.planet-wissen.de, am 19.02.2024.
– Knauer, Roland (2021) : Wasserversorgung für ein ganzes Ökosystem : Wie Pferde und Esel Wüsten beleben. Abgerufen unter: www.tagesspiegel.de, am 19.2.2024.
– Dzombak, Rebecca (2021) : Die Suche nach dem Ursprung der domestizierten Pferde ist beendet. Abgerufen unter: www.nationalgeographic.de, am 19.2.2024.