Mit anderen mitfühlen tut gut

Quand se soucier des autres nous fait du bien

Die Rolle der Empathie für das Wohlbefinden | DR. ISABELLE BOSSET

Empathie ist eine sozioemotionale Kompetenz in der BNE, die sich auf das Wohlbefinden auswirkt. Sie birgt aber auch einige Fallstricke. Will man an der Schule ein Umfeld schaffen, das Empathie fördert, gilt es, sie zu vermeiden.

«Mit den Augen eines anderen zu sehen, mit den Ohren eines anderen zu hören, mit dem Herzen eines anderen zu fühlen»: So definierte der Psychologe Alfred Adler Empathie. Empathie ist eine Kompetenz, die in der Schule als erstrebenswert gilt: Sie begünstigt unter anderem das Zusammenarbeiten, die Konfliktlösung und positive soziale Beziehungen. Doch was umfasst sie genau, und worauf ist zu achten, wenn man sie entwickeln möchte?

Facetten der Empathie

Empathie ist von griechisch «pathos» für Leiden, Zuneigung, Emotion abgeleitet und meint die Fähigkeit, das Leiden einer anderen Person – weniger deren positive Emotionen – nachzuempfinden. Sie kann dazu führen, dass man anderen Menschen hilft. Gemäss Tisseron (2024) hat Empathie zwei Facetten:

  • Kognitive Empathie: die Vorstellung, die wir uns von dem machen, was andere erleben, denken oder sich vorstellen, von ihren Überzeugungen und Absichten. Dazu braucht es Wissen, man muss beobachten und schlussfolgern können. Doch ohne Zuhören und Perspektivenwechsel kann diese Vorstellung des Erlebens anderer auch falsch sein.
  • Affektive Empathie: spontane emotionale Reaktion, die unsere Sensibilität für die Emotionen anderer Menschen widerspiegelt; dies kann so weit gehen, dass wir dieselben Emotionen spüren. Affektive Empathie kann sich sogar körperlich zeigen (schwitzen, Herzrhythmus). Bei zu starker Ausprägung kann sie dazu führen, dass man sich unglücklich fühlt.

Diese beiden Facetten finden sich auch in der Empathiedefinition von éducation21 (2023, S. 14): «Die Lernenden können die Eigenschaften eines anderen berücksichtigen, die Meinungen und Standpunkte eines anderen anhören und miteinbeziehen, sich in einen anderen hineinversetzen, das heisst erkennen, was diese Person denkt und fühlt, insbesondere wenn sie einer anderen Gemeinschaft angehört.»

Empathie beeinflusst das Wohlbefinden in der Schule

Die sozioemotionalen BNE-Kompetenzen, zu denen auch die Empathie gehört, fördern die emotionale Intelligenz, die wiederum einen grossen Einfluss auf das Wohlbefinden hat (Martins et al., 2010). Die Forschung hat gezeigt, dass Empathie und Wohlbefinden in der Schule positiv korrelieren. So stellten beispielsweise Cunsolo et al. (2021a) fest, dass die Empathie von Lernenden mit prosozialem Verhalten (z. B. Teamarbeit), guten Beziehungen zu Peers und weniger Mobbing in Zusammenhang steht. Veldin et al. (2019) zeigten, dass Empathie sich positiv auf das Klassenklima auswirkt, Vinayak und Judge (2018) fanden einen positiven Zusammenhang zwischen Empathie und Resilienz. Gleichzeitig sind in der Forschung einige Fragen noch ungeklärt: Dazu gehören die verschiedenen möglichen Konzeptualisierungen von Empathie (z. B. die «positive» Empathie, bei der man die positiven Emotionen der anderen Person wahrnimmt) oder der Einfluss des Umfelds (z. B. Kontakt zu empathischen Lehrpersonen) auf die Entwicklung von Empathie.

Entwicklung von Empathie

Einige Aspekte verzerren jedoch das Empfinden von Empathie. Es ist hilfreich für Lehrpersonen oder Schulleitungen diese zu kennen, wenn sie die Entwicklung von Empathie fördern möchten, (Tisseron, 2024):

  • Ähnlichkeit: Je ähnlicher uns eine Person ist – beispielsweise körperlich oder bezüglich Vorlieben –, desto eher glauben wir, manchmal zu Unrecht, dass sie die Welt so wahrnimmt wie wir, und desto empathischer sind wir ihr gegenüber.
  • Vertrautheit: Damit ist Vertrautheit aufgrund familiärer, freundschaftlicher oder geografischer Verbindungen gemeint (S. 59). Wie die Ähnlichkeit verzerrt auch Vertrautheit unsere Empathie, denn sie führt dazu, dass wir diejenigen, die uns nahestehen, gegenüber denen bevorzugen, die woanders herkommen
  • Salienz: Hier geht es um den Grad an Aufmerksamkeit, den wir einer Person widmen können. Dieser ist bei einer Einzelperson grösser als bei einer Gruppe.
  • Stress: Stress kann Emotionen überborden lassen. Um Gegensteuer zu geben, reagieren wir möglicherweise damit, eine empathische Reaktion zu hemmen oder sogar zu unterdrücken. Dies gilt insbesondere, wenn wir Unbekanntem begegnen.

Diese Aspekte illustrieren, dass Menschen stets «die Ihren» – also diejenigen, die sie kennen, erkennen, mit denen sie sich identifizieren – bevorzugen gegenüber jenen, die fremd, anders, unbekannt sind. Die nachfolgenden Beispiele konkreter Aktivitäten für den Unterricht berücksichtigen diese Aspekte.

Möglichkeiten und konkrete Aktivitäten

Tisseron (2024) schlägt verschiedene Möglichkeiten vor, Empathie zu stärken: Gemeinsame Aktivitäten etwa ermöglichen es, «Fremde» in die Kategorie «Freunde» «umzuordnen» und so eine der oben genannten Verzerrungen zu eliminieren. Die künstlerische und kulturelle Bildung unterstützt den «Wechsel der emotionalen Perspektive» (S. 110) beispielsweise mithilfe von Kunstwerken. «Immersive Erfahrungen» (z. B. den Alltag einer Person miterleben, die anders ist als wir) wirken Stereotypen entgegen, während das kooperative Lernen (z. B. Spiele, bei denen man zusammenarbeiten statt konkurrieren muss) und Peer Tutoring gegenseitige Empathie fördern (S. 111). Lamboy et al. (2021) schlagen eine Fülle konkreter Aktivitäten für den Zyklus 2 vor, die die psychosozialen Kompetenzen und damit auch die Empathie fördern. Aktivität 34, «Unterschiedliche Freunde», zielt darauf ab, «sich der Haltung gegenüber Kindern, die anders sind, bewusst zu werden und diese falls nötig zu ändern», gezeigt am Beispiel von Ines, einem Kind mit Behinderungen. Mit Aktivität 15, «Meine Stressfaktoren und meine Anti-Stress-Strategien», können Lernende ihre Stressreaktionen, ihre Strategien – z. B. Empathie zu hemmen – und deren Wirksamkeit feststellen. Bei Aktivität 40, «Empathisch zuhören», erzählen die Lernenden einander in Zweiergruppen Geschichten und üben empathisches Zuhören, anschliessend berichten sie von ihren Eindrücken und Gefühlen.

Fazit

Empathie lässt sich nicht verordnen: Sie braucht einen Rahmen, der sie fördert und gleichzeitig die erwähnten Verzerrungen vermeidet. Wird sie durchdacht in den Lehrplan und in die gesamte Schule integriert, ist sie ein wesentlicher Grundbaustein für persönliches Wohlbefinden und Zusammenarbeiten, zwei zentrale Bestandteile von BNE.

Quelle:
https://doi.org/10.1016/j.paid.2010.05.029

Bibliografie:
– Cunsolo, S., Richardson, D., & Vrolijk, M. (2021). How empathizing develops and affects well-being throughout childhood. UNICEF Office of Research – Innocenti, Florence.
– éducation21 (2023). Compréhension de l’EDD. Une définition de travail pour éducation21.
– Lamboy, B., Shankland, R., Williamson, M.-A. (2021). Les compétences psycho-sociales. Louvain-la-Neuve: de Boeck.
– Martins, A., Ramalho, N., & Morin, E. (2010). A comprehensive meta-analysis of the relationship between emotional intelligence and health. Personality and individual differences, 49(6), 554–564. https://doi.org/10.1016/j.paid.2010.05.029.
– Tisseron, S. (2024). L’empathie. Paris: Que sais-je?
– Veldin, M., Kozina, A., Perše, T. V., Vidmar, M., Jugović, I., & Oskarsson, M. (2019). Empathy and classroom climate as predictors of student’s well-being: An international pilot study. Psychological Applications and Trends.
– Vinayak, S., & Judge, J. (2018). Resilience and empathy as predictors of psycho- logical wellbeing among adolescents. International Journal of Health Sciences and Research, 8(4), 192–200.