Gesundheit mit fremden Augen sehen

Voir la santé avec un regard extérieur

Wie Präkonzepte von Schülerinnen und Schülern im Unterricht genutzt werden | TANJA STERN

Wir alle haben ein Verständnis davon, was Gesundheit bedeutet, wie wir gesund bleiben oder was uns krank macht. Auch Schülerinnen und Schüler verfügen über eigene Gesundheitskonzepte. Wie können solche Präkonzepte zum Thema Gesundheit wirkungsvoll in den Unterricht einbezogen werden?

«Gesundheit bedeutet für mich das Wichtigste im Leben. Wenn ich gesund bin, fühle ich mich sehr gut und dankbar. Süssigkeiten und viel Zucker machen mich krank. Ich esse gesunde Sachen, oder im Sommer gehe ich nicht mit Pulli und Jacke raus. So bleibe ich gesund.» Mali (9 Jahre) weiss, was für sie Gesundheit bedeutet. Das zeigt, dass Schülerinnen und Schüler nicht als unbeschriebenes Blatt in den Unterricht kommen. Bestehende Gesundheitskonzepte zu berücksichtigen und Möglichkeiten zu schaffen, diese weiterzuentwickeln, sind für einen wirkungsvollen Unterricht zentral. Ziel eines BNE-Unterrichts ist es, Gesundheit umfassend zu verstehen. Das heisst: Individuelle Faktoren, das soziale Umfeld und die natürliche Umwelt werden mitgedacht und in eine gesunde Lebensweise integriert.

Drei Gründe, die für den Einbezug von Präkonzepten in den Unterricht sprechen

Lernstandniveau erkennen, nächste Schritte planen
Indem Lehrpersonen die Präkonzepte ihrer Schülerinnen und Schüler ermitteln, erhalten sie einen Überblick über deren aktuellen Lernstand. Sie können daraus aktuelle Befindlichkeiten und Anknüpfungspunkte für den Unterricht ableiten und in die kompetenzorientierte Planung integrieren.

Lernhemmnisse ermitteln, Fehlkonzepte korrigieren
Sind Schülerinnen und Schüler von ihren Vorstellungen überzeugt, integrieren sie neue Inhalte nur zögerlich, was sogar zu Lernhemmnissen führen kann. Forschungsergebnisse zeigen weiter, dass Schülerinnen und Schüler insbesondere in naturwissenschaftlichen Themen Fehlkonzepten folgen. Die Lehrpersonen sind deshalb gefordert, Unterrichtssequenzen so zu planen, dass Schülerinnen und Schüler angeregt werden, ihre Konzepte zu überprüfen und falls nötig anzupassen.

Nebst dem Denken auch das Handeln verstehen
Präkonzepte beeinflussen nicht nur das Konstruieren von neuem Wissen. Sie steuern auch das Handeln im Alltag. Diese Erkenntnis ist für das Thema Gesundheit relevant. Lehrpersonen sind nicht nur angehalten, das Gesundheitswissen von Schülerinnen und Schülern zu erweitern, sondern auch, sie zu einem gesunden Handeln – einer gesunden Lebensweise – zu befähigen.

Mit Präkonzepten den Unterricht planen

Seit den 1980er-Jahren rücken Forschende die Präkonzepte von Schülerinnen und Schülern zum Thema Gesundheit vermehrt in den Fokus. Folgende vier Forschungsergebnisse unterstützen Lehrpersonen darin, die Präkonzepte ihrer Schülerinnen und Schüler besser zu verstehen. Für die Weiterarbeit im Unterricht werden mögliche Schritte aufgezeigt:

Gesundheit und Wohlbefinden
Studien zeigen, dass Schülerinnen und Schüler aller Altersstufen Gesundheit als Zustand des Wohlbefindens beschreiben. Er ermöglicht ihnen, aktiv am Leben teilzunehmen, Sport zu treiben und Freunde zu treffen. Victoria (9 Jahre) drückt es so aus: «Ich habe viel Kraft, um alles zu machen, was ich will und muss.» Mit den Schülerinnen und Schülern kann darüber philosophiert werden, was Wohlbefinden für sie bedeutet.

Gesundheitskonzepte ausdifferenzieren
Gesundheitskonzepte reichen von «Ich weiss es nicht» bis zu bereits stark ausdifferenzierten Haltungen. Jüngere Kinder oder solche mit weniger differenzierten Gesundheitskonzepten nehmen Gesundheit und Krankheit stärker als zwei unterschiedliche Konzepte wahr. Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Krankheit sehen sie noch nicht klar. Acht- bis Elfjährige weisen bereits detaillierte Vorstellungen auf. So auch Chantal (9 Jahre), die bereits die Bedeutung des sozialen Umfelds in ihr Konzept integriert hat:
«Gesundheit bedeutet für mich Familie und Freunde. Stirbt ein Elternteil oder eine verwandte Person, macht mich das krank.» Ein grösser werdender Erfahrungsschatz, aber auch erworbenes Wissen erweitern die Präkonzepte der Lernenden. Ein BNE-Unterricht bietet dazu ideale Möglichkeiten. Gesundheit wird dabei umfassend beleuchtet. Neben physischen und psychischen Faktoren werden auch soziale und ökologische Gesundheitsaspekte thematisiert.

Umwelt und Gesundheit
Viele Schülerinnen und Schüler verbinden Gesundheit mit Aspekten aus der Natur: «Ich werde krank, wenn ich im Winter mit kurzen Hosen herumlaufe» (Max, 9 Jahre). Solche Verbindungen zur Natur und zu planetaren Gegebenheiten bieten Lehrpersonen ideale Anknüpfungspunkte, um das Gesundheitsverständnis ihrer Schülerinnen und Schüler mit der ökologischen Dimension zu erweitern.

Mitverantwortung übernehmen
Geht es darum, Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen, nennen Schülerinnen und Schüler zwischen 5 und 16 Jahren vor allem die Handlungsfelder «Ernährung» und «Bewegung». So auch Luana (9 Jahre): «Damit ich gesund bleibe, esse ich gesund, mache Sport und dehne mich.» Im Unterricht werden diese Handlungsfelder weiter ausgebaut. Zum Beispiel kann der Frage nachgegangen werden, wie eine gesunde Ernährung im Einklang mit dem Planeten aussehen könnte. Themenbereiche wie «Naturbegegnungen», «Klassenklima» oder «Freizeitgestaltung» bieten weitere Möglichkeiten, Kinder und Jugendliche zur Mitverantwortung zu befähigen.

Fazit

Lehrpersonen können die Weiterentwicklung des Gesundheitsverständnisses und der Handlungskompetenzen der Schülerinnen und Schüler unterstützen. Dabei hilft es, bestehende Präkonzepte zu ermitteln, diese zu verstehen und weitere Unterrichtsschritte zu planen. Auf der ersten Zyklusstufe kann die Lehrperson das Zusammenspiel von Gesundheit und Krankheit thematisieren und ein kausales Verständnis dieser Konzepte fördern. In den nachfolgenden Zyklusstufen geht es darum, Unterrichtsgelegenheiten zu schaffen, in denen Schülerinnen und Schüler ihre Konzepte zu einem holistischen Gesundheitskonzept ausbauen können. Dabei lernen die Schülerinnen und Schüler, vernetzt zu denken, und erarbeiten individuelle und kollektive Handlungsoptionen. So werden sie Schritt für Schritt zur Mitverantwortung für ihre persönliche und die planetare Gesundheit befähigt.

Wie erhebe ich Präkonzepte in meinem Unterricht?

Um Präkonzepte zum Thema «Gesundheit» zu erheben, können Lehrpersonen den Schülerinnen und Schülern folgende Fragen stellen:

− Was bedeutet für dich Gesundheit?
− Wie fühlst du dich, wenn du gesund / nicht gesund bist?
− Was kannst du unternehmen, damit du gesund bleibst?
− Wie erkennst du, ob jemand aus der Klasse / der Familie gesund ist?
− Was kann dich krank machen?
− Wie hängt deine Gesundheit mit der natürlichen Umwelt zusammen?
 

Quelle:
– Adamina et al. (2018) : « Wie ich mir das denke und vorstelle… » : Vorstellungen von Schülerinnen und Schüler zu Lerngegenständen des Sachunterrichts und des Fachbereichs Natur, Mensch, Gesellschaft. Julius Klinkhardt.